Die Rolle der Frau in der Gesellschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Philosophie bedarf nach wie vor einer Gleichstellung und Aufarbeitung. In der männlich dominierten Philosophiegeschichte sind die Namen bedeutender Philosophinnen geradezu unauffindbar. Um den vergessenen, auch zum Schweigen gebrachten Philosophinnen wieder eine Stimme zu geben und das Wissen über sie zu verbreiten, fand am Freitag, den 29.9.2023, im Haus des Humanismus ein Seminar zur Fragestellung: „Frauen in der Philosophiegeschichte-unsichtbar, unterrepräsentiert, ungelesen?“, statt. Dorothea Winter moderierte die lebhafte Podiumsdiskussion zwischen Dr. Ronja Hildebrandt, Prof. Dr. Annika von Lüpke und Dr. Ariane Schneck. Die erste Frage an das Publikum: „Wie viele Philosophinnen kennt ihr? Und könnt ihr mir ihre Namen nennen?“ war die perfekte Einleitung. Es meldeten sich wenige Zuschauer:innen zu Wort und nannten Hannah Arendt, Simone de Beauvoir und Martha Nussbaum. Im Verlauf des Podiumsgesprächs ergänzten die Panelistinnen diese erschreckend, aber wie sich herausstellt, nicht überraschend geringe Anzahl von Philosophinnen um ein Vielfaches. Sie zeichneten einen Zeitstrahl mit Gesichtern, Werken und Namen von Frauen in der Philosophie, angefangen in der Antike mit Diotima, Hipparchia und Hypatia von Alexandria über Elisabeth von Böhmen und Anne Conway aus der Neuzeit, bis zu Martha Nussbaum in der Gegenwart.
Die Zuschauer:innen verstanden schnell: Es gab Philosophinnen zu allen Zeiten! Sie haben intellektuelle Debatten beeinflusst und ihre Anliegen in der Philosophie vertreten. Auf die Frage, warum diese Frauen bisher kaum in Erscheinung treten, gar wie vergessen schienen, gibt es keine eindeutige Antwort. Dennoch wird durch die angeregte Diskussion und die gezielten Fragen der Gastgeberin Dorothea Winters für das Publikum ein Muster erkennbar: Den gelehrten, intelligenten Denkerinnen der Philosophie, die teilweise sogar berühmte Philosophen unterrichtet haben (wie Aspasia aus Millet, die Sokrates unterrichtete), wurden in allen Jahrhunderten ihren Leistungen aberkannt. Die Philosophinnen wurden zu Brief ‑und Gesprächspartnerinnen, Geliebten oder gar zu Prostituierten degradiert und damit ihre Qualifikationen als Philosophinnen an der Seite eines Mannes abgesprochen. Sie wurden brutal zum Verstummen gebracht und sogar ermordet wie beispielsweise Hypatia von Alexandria in der Antike.
In der frühen Neuzeit wurde darüber diskutiert, ob Frauen die Fähigkeit zu Denken überhaupt besitzen. Hier waren, laut Dr. Ariane Schneck, Philosophinnen und Frauenrechtlerinnen genötigt, anhand der Körper-Geist Theorie von René Descartes zu argumentieren, dass sie ebenfalls über einen Geist verfügen. Die Erkenntnis, dass die Philosophinnen sich in allen Epochen gegen die männliche Ignoranz in der Philosophie zur Wehr setzen mussten, führt zu vielen Wortmeldungen. Im Publikum, das nicht unterschiedlicher hätte sein können hinsichtlich Alter und Lebensentwürfen, finden gegenwärtige und ehemalige Philosophie-Studentinnen ihre Stimme und teilen ihre persönlichen Schwierigkeiten und Hindernissen in der bis heute männlich dominierten Welt der Philosophie.
Es muss noch viel getan werden in der Gegenwart für die Frauen in der Philosophie, aber diese Diskussion, so Dr. Ronja Hildebrandt, war ein wichtiger erster Schritt, gemeinschaftlich Stimme zu erheben und sich Gehör zu verschaffen.